Berliner Wirtschaft November 2023

Wissenstransfer Wirtschaft profitiert von neuen KMU-Büros an Hochschulen Seite 12 Zukunftsorte Innovationsnetzwerke verbinden Start-ups und Etablierte Seite 34 Das Magazin der Industrie- und Handelskammer zu Berlin 11/2023 ihk.de/berlin IHK Berlin Digitalisierung Jetzt! Handlungsempfehlungen der Wirtschaft an den Senat aktualisiert Seite 20 Fernbeziehungen Export ist kein leichtes Geschäft in Krisenzeiten. Wie man dennoch Kontakte knüpft und Märkte behauptet, darüber sprechen Linda und Lorenz Riele, Chefs des Traditionsunternehmens Robert Riele Seite 22, Interview Seite 30

Jean Paul GAULTIER Mit unseren Geschenkpaketen und Gutscheinen verschenken Sie Vorfreude auf ein einzigartiges Showerlebnis.

Sebastian Stietzel ist Präsident der IHK Berlin und Geschäftsführer der Marktflagge GmbH, Management & Investments Der Senat hat kürzlich eine Halbjahres-Bilanz gezogen und ist – wenig überraschend – mit seiner Arbeit zufrieden. Auch wir haben uns die Ergebnisse der bisherigen Senatsarbeit angesehen und kom- men – ebenfalls nicht ganz überraschend – zu einer differenzierteren Bewertung. Sicher, vieles wurde angeschoben wie zum Beispiel die Vereinbarung zur Einrichtung eines KMU- Büros an der HTW (S. 12) oder der pragmatische und partnerschaftlich orientierte Wind, der endlich im Bildungsbereich weht (S. 44). Auch der Umgang miteinander ist erheblich besser geworden, meistens jedenfalls. Kritisch ist dagegen aus unserer Sicht, dass der Zug in Richtung Verwaltungsreform den Bahnhof immer noch nicht verlassen hat. Und völlig in die falsche Richtung geht es etwa bei den Themen Ausbildungsumlage und 29-Euro-Ticket. Hinzu kommt, dass das Gespenst Vergesellschaftungsrahmengesetz weiter durchs politische Berlin geistert. All das belastet den Wirtschaftsstandort Berlin. Belastungen, die gerade angesichts der aktuellen Konjunkturlage vermieden werden sollten. Im Gegensatz zur Bewertung von politischen Erfolgen bieten die Ergebnisse unserer Konjunkturumfrage nämlich kaum Interpretationsspielraum: Wir steuern auf den dritten Krisenwinter in Folge zu (S. 14). Das sollte der Senat bei den Weichenstellungen für die nächsten Monate berücksichtigen – zum Wohle des Standorts und nicht zuletzt für die eigene Leistungsbilanz. Ihr Digitaloffensive 2.0 In Sachen Digitalisierung ist in Berlin noch einiges zu tun. Um hier wertvolle Anregungen zu geben, hat die IHK aktuell 35 konkrete Handlungsempfehlungen auf sieben digitalen Themengebieten entwickelt. Jetzt wurde das Papier dem Regierenden Bürgermeister überreicht. Seite 20 Die „Berliner Wirtschaft“ gibt es auch online: ihk.de/berlin/berliner-­ wirtschaft Die Realität sieht anders aus als die Senats-Bilanz ZEICHNUNG: ANDRÉ GOTTSCHALK; TITEL: ULRICH SCHUSTER Berliner Wirtschaft 11 | 2023 Editorial | 03

AGENDA 10 Wirtschaftspolitisches Frühstück FDP-Fraktionsvorsitzender Christian Dürr bei der IHK 12 Wissenstransfer An der HTW entsteht das erste Büro speziell für KMU 13 Kolumne IHK-Vizepräsident Robert Rückel bezieht Position 14 Konjunktur Multiple Krisen belasten die Berliner Wirtschaft 16 Wirtschaftspolitisches Frühstück IHK-Gast Daniel Günther kritisiert aktuelle Politik 17 Vollversammlung IHK-Gremium beschließt mehrere Positionspapiere 18 Standort Berlin braucht mehr Flächen für die Wirtschaft 20 Digitaloffensive 2.0 IHK übergibt dem Senat Handlungsempfehlungen FOKUS 22 Außenhandel Exportorientierte Berliner Unternehmen auf der Suche nach neuen Märkten 26 Unternehmenspraxis Konzepte von Sentech Instruments, Ferdinand Dameris und Evidentic 30 Interview Dr. Linda und Lorenz Riele über Auslandsaktivitäten und Folgen aktueller Krisen BRANCHEN 34 Zukunftsorte Innovationsnetzwerke helfen bei Kooperationen von Start-ups und Mittelstand 40 Start-up Narendiran Sivanesan, CEO von Tulanã, im Kurzinterview 41 Jubiläum IT-Systemhaus Ehrig feiert den 75. Geburtstag nach 42 Unternehmerinnen Business Ladies Lunch der IHK erweist sich als gutes Forum zum Netzwerken IHK-Gast Christian Dürr, Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, erläuterte im Ludwig Erhard Haus seine Positionen 10 22 Außenhandel Auch als Binnenhafen ist der Berliner Westhafen Ziel- oder Startpunkt von Containern im internationalen Handel Dr. Linda Riele Co-Geschäftsführerin der Robert Riele GmbH & Co. KG Für den Bereich der Medizin kann ich sagen, dass „Made in Germany“ im Ausland immer noch einen sehr guten Klang hat. Inhalt | 04

03 Editorial | 06 Entdeckt | 51 Seminare | 63 Impressum 65 Gestern & Heute | 66 Was wurde aus … FACHKRÄFTE 44 Zukunftsforum „Wirksame Bildung“ stand im Blickpunkt des Events im Ludwig Erhard Haus 48 Good Practice Berlin.Industrial.Group. gewinnt ihre Azubis durch persönliche Kontakte 49 Nachhaltigkeit Azubis werden in Workshops zu Energie-Scouts für die Unternehmen geschult 50 Verbundberatung Netzwerk Südkreuz ist neuer Kooperationspartner für die Ausbildung SERVICE 58 Social Media So gestalten Unternehmer und Unternehmerinnen ihre digitale Präsenz sinnvoll 60 Gründerszene Druck und Stress schaden dem Unternehmen. Was man dagegen tun kann 62 Beratung Die Widerrufsrechte von Verbrauchern gehen weiter, als man annehmen könnte Zukunftsforum Groß war das Interesse an der IHK-Veranstaltung, bei der es um Möglichkeiten für eine „Wirksame Bildung“ ging 44 Schreiben Sie uns Worüber möchten Sie in der „Berliner Wirtschaft“ informiert werden? Senden Sie Ihre Anregungen per Mail an: bw-redaktion@berlin.ihk.de FOTOS: KONSTANTIN GASTMANN/IHK BERLIN (2), GETTY IMAGES/LUIS ALVAREZ Berliner Wirtschaft 11 | 2023 das uns! Überlassen Sie Professionelle Entsorgungslösungen für: Gewerbeabfälle Bedarfsgerechte Konzepte zur Erfassung Ihrer gemischten Gewerbeabfälle – entsprechend der Gewerbeabfallverordnung Altpapier Beste Preise für Industrie, Handel, Gewerbe, Wohnungswirtschaft und Privathaushalte Gewerbefolien Kostengünstige und umweltgerechte Wertstoffentsorgung Andere Abfälle Zuverlässige Erfassung aller anderen Abfälle zur Verwertung (Glas, Holz, Schrott, E-Schrott) Bartscherer & Co. Recycling GmbH Montanstraße 17-21 13407 Berlin Tel: (030) 408893-0 Fax: (030) 408893-33 www.bartscherer-recycling.de Bestellungen direkt im Onlineshop. Günstige Pauschalpreise für Umleerbehälter von 240 l bis 5,5 cbm.

Die Prinzessin auf der Erbse kennt jeder. Beim Berliner Food-Start-up Vly glaubt man nicht an Märchen – aber an die Kraft der Erbse. Die Idee der Gründer Moritz Braunwarth, Nicolas Hartmann und Niklas Katter: vegane Milch- alternativen aus Erbsenprotein. Die Hülsenfrüchte mit vorteilhafter Ökobilanz wachsen in Frankreich. Eine nordrhein-westfälische Molkerei stellt die Vly-Produkte her. Entwickelt aber werden sie an der Mollstraße mitten in Berlin. Dort testen Mitarbeiterinnen wie Winnie Goede und Alejandra Gómez (Foto, v. r.) neue Rezepturen. Zum Portfolio gehören neben Milch- und Joghurtalternativen seit Kurzem auch Shakes. Dass Vly in Deutschland und drei Nachbarländern mittlerweile in vielen Supermärkten gelistet ist, verdankt sich auch einem TV-Auftritt in der Gründer-Show „Die Höhle der Löwen“. Der ging zwar schief, der Erfolg der Erbse aber geht weiter. Erbsen zählen VF Nutrition GmbH Gegründet wurde Vly 2018, heute zählt das Unternehmen mit Sitz unweit des Alexanderplatzes 25 Beschäftigte. Entdeckt | 06

Konkret dabei Nachhaltigkeit ist der Dreiklang aus ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten. Die IHK hilft Unternehmen, dies umzusetzen. IHK-Initiative Alle Informationen zur Nachhaltigkeitsinitiative der IHK Berlin unter: ihk.de/berlin/ nachhaltige-wirtschaft FOTO: ULRICH SCHUSTER Berliner Wirtschaft 11 | 2023

kopf oder zahl Björn Fromm Alexander Schirp ist neuer Präsident des Handelsverbandes Lebensmittel (BVLH). Der selbstständige Edeka-Kaufmann mit drei Märkten in Berlin hat zudem einen Sitz im Aufsichtsrat der Edeka Minden-­ Hannover. Zugleich ist er Präsident des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg (HBB) und Vizepräsident des Handelsverbandes Deutschland (HDE). hat zum 1. Oktober die Hauptgeschäftsführung der Unternehmens- verbände Berlin- Brandenburg (UVB) übernommen. Der Jurist löst Christian Amsinck ab, der fast 16 Jahre lang den Verband geführt hat. Alexander Schirp arbeitet seit 1995 für die Unternehmensverbände. Seit 2021 ist er stellvertretender Hauptgeschäftsführer der UVB. 8 Start-ups aus Berlin werden von France Digitale und 18 weiteren Start-upVerbänden in den „Leading European Tech Scale-ups 2023“ genannt. Es sind: Billie, Clue App, CoachHub, Lingoda, Moss, Pitch, Spryker und Urban Sports Club. „Die Defizite gefährden die Zukunftschancen der Jugendlichen und die Zukunft Berlins als Wirtschaftsstandort gleichermaßen. Die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Berlins hängt direkt von der Qualität der Bildungseinrichtungen ab. Wenigstens die Sicherung der Mindeststandards in der Bildung muss in Berlin Top-Priorität haben.“ Die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends bestätigen massive Defizite von Schülerinnen und Schülern beim Lesen und Schreiben Top-Priorität für Bildung gesagt Stefan Spieker, Vizepräsident IHK Berlin FOTOS: UVB, BERNHARDT LINK/FARBTONWERK, GETTY IMAGES/C.J. BURTON, AMIN AKHTAR Berliner Wirtschaft 11 | 2023 Kompakt | 08

Brandenburg Hamburg Niedersachsen Bremen Bayern Hessen Schleswig-Holstein Berlin Baden-Württemberg Mecklenburg-Vorpommern Saarland Thüringen Sachsen Nordrhein-Westfalen Sachsen-Anhalt Rheinland-Pfalz Deutschland 6,0 1,7 0,9 0,8 0,5 0,4 0,0 -0,1 -0,2 -0,2 -0,4 -0,3 -0,6 -0,7 -1,3 -3,2 -5,4 6,0 % BIP-Wachstum erzielt Brandenburg im ersten Halbjahr. Ein wesentlicher Grund: die Investitionen von Tesla. Christian Nestler, IHK-Experte für Statistik Tel.: 030 / 315 10-286 christian.nestler@berlin.ihk.de Brandenburg marschiert vorweg Berlins Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpft im ersten Halbjahr um 0,1 Prozent, das des Nachbarlands wächst dagegen kräftig berliner wirtschaft in zahlen Als sich 2014 die Tore des ICC schlossen, dachte man an Folge- verwendungen wie Shopping. Oder ein Kasino. Neun Jahre später steht ein Fahrplan hin zum Nachnutzungskonzept: 2024 Start eines internationalen Wettbewerbs; Entscheidung über eine Zukunft in privatöffentlicher Partnerschaft bis 2026. Gut Ding will Weile haben, das gilt auch am Hauptbahnhof. Dort soll das Provisorium des Europaplatzes weichen – nach 19 Jahren. bw Was finden Sie typisch? Schreiben Sie uns: bw-redaktion@berlin.ihk.de Bitte warten typisch berlin Grafiken: BW Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg PREISGÜNSTIGE BÜRO-NEUBAUFLÄCHEN AM ZUKUNFTSSTANDORT ADLERSHOF WWW.MIETEN-IN-ADLERSHOF.DE MIETANFRAGE@MIETEN-IN-ADLERSHOF.DE +49 30 8891 3322 Eine Projektentwicklung der MIETEINHEITEN/GEBÄUDE VON 250 BIS 5.500 M2 ZUFRIEDENE MIETER KÖNNEN NICHT IRREN 75 BTB-FERNWÄRME MIT 57% ANTEIL ERNEUERBARE ENERGIEN

IHK-Gast Christian Dürr, Chef der FDP-Fraktion im Bundestag, mahnt umfassende Reformen an – auch bei Bürokratieabbau und Einwanderungspolitik von Holger Lunau Weniger Bürokratie, mehr Konjunktur agenda

I m zweiten Anlauf hat es geklappt. Nachdem der FDP-Fraktionschef im Deutschen Bundestag, Christian Dürr, im März wegen der Sitzung des Ampel-Koalitionsausschusses kurzfristig absagen musste, stand er nunmehr bei einem Wirtschaftspolitischen Frühstück der IHK Berlin Rede und Antwort. Und der Liberale hielt bei seinem Auftritt, womit die FDP im Allgemeinen verbunden wird: klare Kante zeigen, Widersprüche provozieren, immer mit beiden Augen die Wirtschaft im Blick behalten. Und den 150 Unternehmerinnen und Unternehmern der morgendlichen Veranstaltung gefielen die Äußerungen, die mehrfach mit Beifall bedacht wurden. „Deutschland steht vor gigantischen Heraus- forderungen und geopolitischen Veränderungen“, beschrieb Dürr die Lage. Im internationalen Vergleich sei Deutschland als viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt schlecht aufgestellt. Hemmnisse seien insbesondere die überbordende Bürokratie, steuerliche Fragen, hohe Energiepreise und die enormen demografischen Probleme. Vor diesem Hintergrund mache sich die FDP für Reformen stark, auch wenn das in der Ampel-Koalition nicht immer leicht sei und es gesetzliche Erblasten der Vorgängerregierung gäbe. Ein zentrales Thema war die zunehmende Bürokratie, von vielen Gäste scharf kritisiert. Hier verwies Dürr darauf, dass 57 Prozent der Bürokratie EU-gemacht sind. Er sei ein „glühender Europäer“, betonte der Politiker. Aber auf diesem Feld müssten sich Dinge ändern. Aber: „Was wir dürfen und können, müssen wir einfach machen“, forderte der Fraktionschef mehr Eigeninitiative. Als Beispiel nannte er das von seiner Partei initiierte Bürokratieentlastungsgesetz, mit dem die Aufwände der Unternehmen auf ein historisches Minimum sinken würden. Allerdings seien auch die Bundesländer gefordert, Bürokratie abzubauen. Auch das Planungsbeschleunigungsgesetz werde dazu beitragen, Planungs- und Genehmigungsverfahren schneller abzuschließen. Beim Bau der LNG-Terminals habe Deutschland bewiesen, dass es auch schneller gehen kann. Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz abschaffen Ein großes Ärgernis für viele Unternehmen ist auch das sogenannte Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, mit dem die Einhaltung menschenrechtlicher Standards in anderen Ländern dokumentiert werden soll. „Als Mittelständler habe ich keine Kapazitäten, die geforderten umfangreichen Nachweise beizubringen“, berichtete der Geschäftsführer der AEMtec GmbH, Jan Trommershausen. Zudem seien seine Geschäftspartner oft nur Zwischenhändler und verfügten nicht über die entsprechenden Informationen. Alternativ beliefere er nunmehr US-amerikanische Firmen, denen das Gesetz egal sei. Nach Ansicht von Dürr gehört das Gesetz abgeschafft, weil damit „nur zusätzliches Papier bedruckt wird“. Zum allgegenwärtigen Fachkräftemangel sagte Dürr: „Deutschland muss lernen, ein modernes Einwanderungsland zu werden.“ Als Beispiele nannte er Kanada und Neuseeland. „Wer Lust hat, durchzustarten, unsere Werte teilt und sich an das Grundgesetz hält, dem sollten wir einen roten Teppich ausrollen“, forderte der Politiker. Die Spannungen in diesem Bereich seien ein „gesellschaftspolitischer Großkonflikt“ und: „Das Einwanderungsthema sollten wir nicht irren Rechten überlassen.“ Vor dem Hintergrund vieler illegaler Einreisen forderte Dürr erneut von den Bundesländern, kein Bargeld mehr an Flüchtlinge zu zahlen. Diese Praxis könne sofort gestoppt werden. Zur Migration von Flüchtlingen sagte Dürr: „Wir sind ein weltoffenes Land, müssen aber sehen, dass Einwanderung nach Recht und Ordnung geschieht.“ Zum Abschluss der Veranstaltung richtete Dürr an die Unternehmerinnen und Unternehmer noch einen Appell. Auf die Kritik von Fröbel-Vorstand und IHK-Vizepräsident Stefan Spieker zur zunehmenden Bürokratie forderte der Liberalen-Politiker die Wirtschaft auf, sich öfter erkennbar zu äußern. Denn die Entscheidungen in den Parlamenten würden von Politikern getroffen, auch in Brüssel. Und da falle ihm auf, „dass sich die deutsche Wirtschaft manchmal nicht laut und deutlich genug äußert“. ■ Immer die Wirtschaft im Blick: FDP-­ Fraktionsvorsitzender Christian Dürr im Ludwig Erhard Haus Christian Dürr Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion Wir sind ein weltoffenes Land, müssen aber sehen, dass Einwanderung nach Recht und Ordnung geschieht. FOTOS: KONSTANTIN GASTMANN/IHK BERLIN Wirtschaftspolitisches Frühstück | 11 Berliner Wirtschaft 11 | 2023

B erlin ist Deutschlands größtes Wissenschaftszentrum. Rund 40 Hochschulen, 80 Forschungsinstitute und fast 250.000 Menschen, die hier studieren, lehren und forschen, sind für die wirtschaftliche Entwicklung und Innovationskraft der Hauptstadt ein entscheidender Standortfaktor. Für viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU) kann gerade diese Größe und Vielfalt zugleich eine Herausforderung sein: Wo finde ich die passende Forschungsexpertise, wo werden gerade neue Anwendungen entwickelt, von denen mein Unternehmen profitieren kann? Wer sind meine Kontaktpersonen? Der Berliner Senat will die Vernetzung zwischen Berlins Wissenschaft und Wirtschaft weiter stärken und durch KMU-Büros an Berlins Hochschulen gezielt ergänzen. Wie Lotsen sollen die Büros die Orientierung erleichtern, Forschende und Unternehmen zusammenbringen und den Wissens- und Technologietransfer unterstützen. An der Hochschule für Wirtschaft und Technik (HTW) Berlin entsteht nun das erste KMU-Büro in Kooperation mit der Senatswirtschaftsverwaltung und der IHK Berlin. Dafür unterzeichneten die drei Partnerinnen am 9. Oktober ein Memorandum of Understanding. Als Pilotprojekt soll das Büro in einem 18-monatigen Testbetrieb maßgeschneiderte Angebote entwickeln. Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey betonte die Bedeutung der Forschungs- und Wissenschaftslandschaft Berlins für die Wirtschaftsdynamik der Stadt. „Mit der Einrichtung des ersten KMU-Büros nehmen wir ganz gezielt die Bedarfe der mehr als 170.000 Berliner kleinen und mittleren Unternehmen in unserer Stadt in den Blick und wollen ihnen den Zugang zu Innovationen erleichtern“, so Giffey. Dass der Hochschule der Kontakt zu Berliner Unternehmen sehr wichtig sei, hob Prof. Dr. Stefanie Molthagen-Schnöring hervor, Vizepräsidentin für Forschung, Transfer und Wissenschaftskommunikation der HTW: „Mit dem KMU-Büro schaffen wir eine niedrigschwellige Möglichkeit, miteinander in Kontakt zu kommen sowie Ideen für Kooperationen zu entwickeln und umzusetzen. Dafür werden wir in Zukunft noch mehr bei den Unternehmen vor Ort präsent sein.“ IHK-Präsident Sebastian Stietzel wies auf die Schwierigkeit vor allem für KMU hin, sich in der komplexen Hochschulwelt zu orientieren, zumal sie auch nur selten die Möglichkeit haben, eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilungen zu unterhalten. „Die Folgen schaden dem Wirtschaftsstandort insgesamt, wenn KMU Innovationsprojekte nicht umsetzen können, weil der Zugang zum Wissenschaftspartner fehlt. Hier schafft das neue KMU-Büro Abhilfe.“ ■ Kooperation: IHK-Präsident Sebastian Stietzel, Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (M.) und Prof. Stefanie Molthagen-Schnöring von der HTW Heike Schöning, IHK-Public-Affairs-Managerin Innovationspolitik Tel.: 030 / 315 10-331 heike.schoening@berlin.ihk.de 80 Forschungsinstitute und 40 Hochschulen stehen für die Innovationskraft Berlins. Vor allem für KMU ist es oft schwierig, von Erkenntnissen der Wissenschaft zu profitieren. Extra eingerichtete Büros sollen sie dabei unterstützen von Claudia Engfeld Lotsen Richtung Forschung FOTO: HTW BERLIN/ALEXANDER RENTSCH AGENDA | Wissenstransfer | 12

Hauptstadt-Flugpläne sehen anders aus In Europa ist Deutschland das Schlusslicht im Luftverkehr – und am Airport der Metropolregion, dem BER, ist das Flugangebot besonders schlecht Umsteigen in Frankfurt, München oder Paris – das kennen wir. Schon seit jeher müssen wir zwischenlanden, wenn wir nach Los Angeles, Rio, Dubai oder Singapur fliegen möchten. Weltweit einzigartig für die Hauptstadt eines Industrielandes, historisch bedingt durch die Zeit der Teilung. Den Vielflieger erstaunt die Zwischenlandung aber doch, wenn er nach Luxemburg, Sevilla oder Toulouse fliegen will. Hier sind seit Corona die Direktflüge ab BER gestrichen. Ein Umstand, der den Passagier nicht nur sehr viel Zeit, sondern auch Geld kostet und gleichzeitig die CO2-Emissionen der Reise deutlich erhöht. Und, ganz egal, ob als finales Ziel oder zum Umsteigen: Nach Paris, London oder Amsterdam zu kommen, ist nicht mehr so einfach: Easyjet und Ryanair haben Flugzeuge an günstigere Standorte verlagert, Lufthansa die Zubringerflüge nach Frankfurt massiv ausgedünnt, British Airways und Air France ebenfalls die Zubringer zu ihren Drehkreuzen deutlich reduziert. Der Luftverkehr in ganz Europa ist fast auf dem Vor-Corona-Niveau, nur nicht hier. Deutschland ist das Schlusslicht, denn die Preise für Gebühren, Sicherheit und die Luftverkehrssteuer machen die Bundesrepublik zum LuxusZiel. Während die Reduktion bei den innerdeutschen Flügen im Sinne der Nachhaltigkeit sein mag, kommen auch nur noch 23 Prozent der Passagiere an deutschen Flughäfen aus dem Ausland. Bei Ryanair ist Deutschland auf Platz sechs der größten Märkte, bei Easyjet auf Rang neun – für das bevölkerungsreichste Land Europas eigentlich ein Witz. Gemeinsam mit den Brandenburger Kammern haben wir 2023 die Unternehmen der Hauptstadtregion nach ihren Bedarfen gefragt – quantitativ online und qualitative Interviews mit den größten Unternehmen. Auch, wenn mancher Flug durch Videokonferenzen und Zugreisen eingespart werden kann: Die befragten Unternehmer sehen die Konnektivität als massiven Wettbewerbsnachteil für ihren Standort. Sie sehnen sich nach Verbindungen in die USA (West- und Ostküste), nach China, Japan, Singapur, Dubai und Südamerika. Die verlorenen und ausgedünnten europäischen Flugverbindungen gefährden nicht nur die Erholung der Tourismusdestination Berlin, sondern bremsen auch die Wirtschaft. Innereuropäisch sind mehr tägliche Direktflüge in die Hauptstädte Paris, London, Amsterdam und Rom die oberste Priorität der befragten Unternehmen. Der Senat hat im September am BER getagt und sich zu ihm bekannt. Vielleicht schaffen wir es ja gemeinsam, dass wir uns im Flieger irgendwann hauptstadtgemäß fühlen dürfen? ■ Meinung In der Kolumne „Auf den Punkt“ positionieren sich im monatlichen Wechsel Mitglieder des Präsidiums zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen aus ihrer persönlichen Sicht. präsidiumsmitglieder beziehen stellung Robert Rückel ist Geschäftsführer der Deutsches Spionage Museum DSM GmbH und Vizepräsident der IHK Berlin FOTO: AMIN AKHTAR/IHK BERLIN Auf den Punkt | 13 Berliner Wirtschaft 11 | 2023

Auch wenn es zum Zeitpunkt der Umfrage keinen aktuellen Schock gab, belasten zahlreiche Probleme das Konjunkturklima der Berliner Wirtschaft von Christian Nestler Krisen werfen lange Schatten Z um zweiten Mal innerhalb der Jahresfrist kühlt die Konjunktur nach einem kurzen Aufschwung wieder ab. Nachdem die Wirtschaft den vergangenen Winter vergleichsweise gut überstanden hatte, schien im laufenden Jahr ein solides Wachstum von etwa 1,5 Prozent möglich. Doch im ersten Halbjahr sank die wirtschaftliche Leistung der Berliner Wirtschaft sogar leicht um 0,1 Prozent. Die Zahlen des aktuellen Konjunkturberichtes zeigen, dass die Konjunktur im zweiten Halbjahr schwach geblieben ist und in den kommenden Monaten sogar weiter an Schwung verlieren wird. Der Konjunkturklimaindex zählt 103 Punkte, nach 112 Punkten im Frühsommer. Das ist weit unterhalb des Durchschnitts der vergangenen zehn Jahre von 125 Punkten. Selbst in der Corona- Krise lag der Index nur einmal – im Frühsommer 2020 – niedriger als aktuell. In den vergangenen drei Jahren erlebte die Wirtschaft immer wieder Schocks, die die Wachstumsdynamik schwer belasteten. Zuerst die Pandemie und die Lockdowns. Dann der Überfall Russlands auf die Ukraine und die Folgen für die deutsche Energieversorgung. Diesen Herbst sind die Konjunkturindikatoren zurückgegangen, obwohl ein solcher Schockmoment zum Zeitpunkt der Umfrage nicht vorlag. Der Krieg in Nahost erschütterte erst danach das Land. AGENDA | Konjunktur | 14

Zunehmend bremsen interne Faktoren die Wirtschaft. Die Sorge um die Entwicklung des Inlandsabsatzes und der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen treibt mehr als die Hälfte der Unternehmen um. Zudem belasten die nach wie vor vergleichsweise hohen Energiepreise zahlreiche Unternehmen, und der Fachkräftemangel bleibt selbst jetzt, in einer konjunkturellen Schwächephase, ein Risiko für mehr als jeden zweiten Betrieb. Entsprechend setzen viele Betriebe ihre Investitionsplanungen on-hold und sehen kaum Spielraum für Personalaufbau. Die Varianz zwischen den Branchen ist dabei recht groß – die Bewertungen in Industrie, Handwerk und Dienstleistungsbereichen wie der IT sind weiterhin recht solide, während sich Handel und Gastgewerbe bereits starkem konjunkturellem Gegenwind ausgesetzt sehen. Über alle Sektoren hinweg ist jedoch unübersehbar, dass die Konjunkturindikatoren weit unterhalb des Niveaus vor der Corona-Krise notieren – und den Weg dahin zurück nicht finden. Im Mittel zufriedenstellend, aber keineswegs überschäumend, beurteilt die Berliner Wirtschaft die laufenden Geschäfte. Vor allem größere Unternehmen kommen mit dem schwierigeren konjunkturellen Umfeld zufriedenstellend zurecht, während kleinere Betriebe bereits häufiger von schlecht laufenden Geschäften berichten. Der Indikator der Geschäftslage, der sich aus positiven und negativen Einschätzungen ergibt, sinkt von 25 Punkten im Frühsommer auf 19 Zähler. Besserung ist nicht in Sicht, im Gegenteil: Die Berliner Wirtschaft blickt eher pessimistisch in die Zukunft. Der Erwartungsindikator, der sich aus optimistischen und pessimistischen Prognosen berechnet, fällt auf -11 Punkte. Im Frühjahr zählte er noch einen Punkt. Anders als bei der Beurteilung der Geschäftslage unterschieden sich die Erwartungen von größeren und kleinen Unternehmen nicht. Sie sind alle ähnlich skeptisch. Nach drei Jahren Krisen und externen Schocks geht die Berliner Wirtschaft mit einer gefesselten Wachstumsdynamik in den Jahresendspurt. Die Abfolge von Pandemie, Inflation, steigenden Zinsen und hohen Energiepreisen sowie internationalen Spannungen hat Konsumenten und Produzenten verunsichert und viele ermattet. Der wirtschaftspolitische Rahmen wird von zahlreichen Unternehmen als hemmend wahrgenommen. Es fehlt allgemein an Zuversicht. Diese zu stärken und ihr eine solide Basis zu schaffen, ist die zentrale Aufgabe, der sich die Wirtschaftspolitik wird stellen müssen. ■ 19 Punkte zählt der Saldo der Geschäftslage, sechs Punkte weniger als im Frühjahr. 103 Punkte beträgt der Konjunkturklimaindex der Berliner Wirtschaft in diesem Herbst. 0,1 % im Minus lag Berlins BIP, ein Ausweis der aktuellen wirtschaft- lichen Schwäche.. Christian Nestler, IHK-Experte für Konjunktur Tel.: 030 / 315 10-286 christian.nestler@ berlin.ihk.de ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/JORG GREUEL; FOTO: FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG Grafiken: BW Quelle: IHK Berlin Geschäftslage und -erwartungen Die negativen Erwartungen deuten darauf hin, dass sich die Situation in naher Zukunft nicht verbessern wird Beschäftigungs- und Investitionspläne Die Personalpläne blieben nur im Corona-Frühjahr 2020 hinter den aktuellen Werten zurück Konjunkturklimaindex der Berliner Wirtschaft Eine stabile Erholung nach der Abschwächung 2019 und dem Einbruch durch Corona ist nicht in Sicht (IHK, HWK) 65 143 125 150 50 75 100 125 2013 '14 '15 '16 '17 '18 '19 '20 '21 '22 '23 jeweils zum Jahresbeginn und im Herbst 86 112 103 Erwartungen Geschäftslage Saldo der : 34 61 75 -50 -25 0 25 50 2013 '14 '15 '16 '17 '18 '19 '20 '21 '22 '23 jeweils zum Jahresbeginn und im Herbst -34 -51 -11 19 Saldo der : Investitionspläne Personalpläne 37 41 30 -20 0 20 40 2013 '14 '15 '16 '17 '18 '19 '20 '21 '22 '23 jeweils zum Jahresbeginn und im Herbst -14 1 16 Berliner Wirtschaft 11 | 2023

B ei Schleswig-Holsteins Ministerpräsidenten Daniel Günther schrillen die Alarmglocken. Der stetig größer werdende Vertrauensverlust der Bürger in die Politik gefährde den Zusammenhalt in Deutschland, warnte der Politiker bei einem Wirtschaftspolitischen Frühstück der IHK Berlin, das dieses Mal auf dem Rooftop des Living Berlin stattfand. Teilweise weniger als 20 Prozent Zustimmung für die Ampel-Regierung stimmten bedenklich. Die Politik habe ihren Anteil daran, „dass wir mit Sorgenfalten durch das Land laufen“, sagte er. Dabei ging der CDU-Politiker auch mit seiner eigenen Partei ins Gericht. Es reiche nicht, „dass man nur rummault“, kritisierte Günther in Richtung des CDU-Parteivorsitzenden Friedrich Merz. Und weiter: „Es gelingt nicht, den Leuten zu vermitteln, dass wir es besser machen, wenn wir regieren würden.“ Seine Partei müsse deutlich konstruktiver unterwegs sein, forderte der Ministerpräsident. Hintergrund: Trotz der schlechten Noten für die Ampel schafft es die Union derzeit in den Umfragen nicht, daraus Kapital zu schlagen und an Zustimmung zu gewinnen. Eindringlich forderte Günther, „die Ärmel hochzukrempeln“. Er betonte, dass es eine Gesellschaft brauche, die veränderungsbereit ist. „Wir müssen Fesseln lösen, zum Beispiel bei Planungsprozessen.“ Da reichten Diskussionen über die Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance nicht. Und dann bekamen auch noch die Medien ihre Schelte ab: „Wir sollten nicht alles schlechtreden, was unser Land in den vergangenen Jahren stark gemacht hat“, sagte der Politiker. Über Leistung sollte als etwas Positives gesprochen werden. Neue Regularien für den Energiemarkt Bei seinem rund einstündigen Auftritt vor rund 200 Unternehmerinnen und Unternehmern ging Günther insbesondere auf die Energiepolitik in Deutschland ein. Die Produktion von Strom sei politisch gewollt verknappt worden. „Wir verteuern Energie völlig sinnbefreit“, sagte der Politiker. Er forderte neue Regularien für den Energiemarkt, auch um Strompreise in Deutschland zu vereinheitlichen. Zugleich räumte er ein, einen Industrie-Strompreis zwar kritisch zu sehen, ihm aber dennoch zuzustimmen. „Ich mache da mit, ich bin ein Egoist“, räumte er freimütig unter Hinweis auf die gegenwärtig wichtigste Industrieansiedlung in Schleswig-Holstein ein. Der schwedische Batteriezellen-Hersteller Northvolt will im Norden Deutschlands eine Batterie-Fabrik mit rund 3.000 Arbeitsplätzen bauen. ■ Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, ging auch mit seiner eigenen Partei ins Gericht und plädierte für konstruktiveres Vorgehen von Holger Lunau Politik braucht Vertrauen der Bürger Daniel Günther beim Wirtschaftspolitischen Frühstück der IHK auf dem Rooftop des Living Berlin Die StromProduktion ist politisch gewollt verknappt worden. Wir verteuern Energie völlig sinnbefreit. Daniel Günther FOTO: REGINA SABLOTNY AGENDA | Wirtschaftspolitisches Frühstück | 16 Berliner Wirtschaft 11 | 2023

Digitaloffensive, Rohstoffkreislauf, innovatives Wachstum – Vollversammlung der IHK Berlin beschließt Positionspapiere von Holger Lunau Moderne Weltmetropole IHK-Präsident Sebastian Stietzel leitete die Vollversammlung; Ausschussvorsitzender Paul Wolter (r.) stellte die „Digitaloffensive 2.0“ vor Die IHK-Vollversammlung (VV) hat in den vergangenen Monaten Positionen zu mehreren wirtschaftspolitischen Themen erarbeitet. Jetzt legten die entsprechenden Arbeitskreise als Ergebnisse von Workshops und Diskussionsveranstaltungen mit Unternehmern, Politikern und Verwaltungsfachleuten Papiere zum „Innovativen Wachstum“, zur „Digitaloffensive 2.0“ und zur „Rohstoffkreislaufwirtschaft“ vor. Bei ihrer Tagung am 28. September verabschiedete die VV diese Ergebnisse als Grundlage für das weitere Handeln der IHK Berlin. Um der Berliner Wirtschaft innovatives Wachstum zu ermöglichen und Berlin zu einer modernen Weltmetropole zu entwickeln, wurden unter Leitung von IHK-Vizepräsidentin Sonja Jost acht Handlungsfelder identifiziert. Dazu gehören: Positives wirtschaftspolitisches Mindset, Internationale Standards, Adaptive Stadt, Technologietransfer stärken, Deep Tech ermöglichen, Soziale Innovation fördern, Moderne Förderpolitik sowie EU- und Bundespolitik mitgestalten. Nun geht es darum, diese Bubbles mit konkreten Maßnahmen zum Leben zu erwecken. Dafür soll das Arbeitsprogramm 2024 entsprechend gestrickt werden. Die Positionen zur „Digitaloffensive 2.0“ (s. auch Seite 20) waren gemeinsam vom federführenden IHK-Ausschuss „Innovative und wissensgetriebene Stadt“ und dem Hauptamt unter Einbeziehung weiterer ehrenamtlich tätiger IHK-Ausschüsse erarbeitet worden. Hier geht es nach Darstellung des Ausschussvorsitzenden, Paul Wolter, um Digitale Verwaltung und Governance (Stichworte: E-Akte und Digitales Bürgeramt), Digitale Infrastruktur, IT-Sicherheit, KI und Schlüsseltechnologien, Datenpolitik (unter anderem Open Data), IT-Fachkräfte und Digitale Bildung (zum Beispiel Ausrichtung der Lehrpläne auf das digitale Zeitalter). Das Positionspapier „Wertschöpfung zirkulär denken, Rohstoffe sorgsam nutzen, Kreisläufe schließen“ umfasst alle erdenklichen Maßnahmen rund um die Kreislaufwirtschaft. Es enthält Forderungen an die Politik im Land, Bund und auf EU-Ebene, darunter zu Regularien für den Wettbewerb, Standards, Wertschöpfungsketten und Wissenstransfer. Darüber hinaus billigte die Vollversammlung das Jahresergebnis 2022 der IHK Berlin und erteilte dem Präsidium und der Geschäftsführung Entlastung. ■ FOTOS: AMIN AKHTAR Vollversammlung | 17

Die Krisenmeldungen in der Bau- und Immobilienbranche reißen nicht ab. Die Zinserhöhungen verteuern neue wie laufende Projekte, die Preise für Material und Rohstoffe steigen markant, potenzielle Käufer halten sich zurück, auch der Fachkräftemangel macht der Branche sehr zu schaffen, und vor dem Hintergrund der Klimakrise werden die Anforderungen immer komplexer. Die Frage, welche Gebäude wo, in welcher Größenordnung und zu welchen Konditionen auf dem Markt gebraucht werden, lässt sich nur noch schwer beantworten. Auf eines können sich Politiker und Wirtschaftsvertreter im Grundsatz einigen: Wir brauchen mehr. Mehr neue Wohnungen, mehr Gewerbeflächen, mehr Quartiersentwicklung und mehr Erschließung für mehr Mobilitätsformen. Außerdem mehr Klimaschutz durch weniger Emissionen. Gleichzeitig wissen alle, dass Berlin weniger Flächen versiegeln und weniger Energie verbrauchen darf. Nicht zufällig drehen sich viele Diskussionen um die Aufstockung bestehender Gebäude oder die Umnutzung von Objekten. Nicht zufällig verkündete daher die GSG Berlin bei der Präsentation ihrer Studie „Gewerbe- Pulsschlag“ Mitte September, dass sich der Fokus zukünftig auf den Bestand richtet. Nicht nur historische Gewerbegebiete und -gebäude müssen den energetischen und technischen Anforderungen angepasst werden, sondern auch solche, die im Bauboom der frühen 1990er-Jahre entstanden sind. Dabei haben sich auch die Ansprüche der Nutzer verändert. Das ist eine große Herausforderung für Projekt- und Bestandsentwickler: Wegen des anhaltenden Trends zum Homeoffice müssen weniger Quadratmeter Bürofläche pro Mitarbeiter geplant werden, dafür etwa mehr Gemeinschaftsflächen. Das in einem historischen Bestandsgebäude umzusetzen, ist nicht einfach. Und dabei sind wir noch gar nicht bei „Blue Collar“-Objekten, also klassischen Gewerbegebieten mit Produktion und Logistik, die geschätzt zwei Drittel aller Objekte darstellen. Die IHK Berlin bemängelt seit Jahren, dass in der Innenstadt solche Gewerbeflächen und -räume verschwinden. Im Grunde finden alle kleine Handwerks- oder Produktionsbetriebe in der Nachbarschaft gut. Doch diese arbeiten oft schon frühmorgens, machen Lärm oder stinken, und da hört die Toleranz der Anwohner auf. Die traditionellen Gewerbehöfe werden immer häufiger zu Wohnzwecken umgenutzt, ausgewiesene Gewerbeflächen für Wohnungsneubau aufgegeben. Allein 170 Hektar Fläche hat die Wirtschaft in den letzten acht Jahren dadurch verloren. Für viele Unternehmen im und auch schon außerhalb des S-Bahn-Rings ist oft die einzige Lösung der Umzug ins Brandenburger Umland. Das verursacht jedoch zusätzliche Verkehre in beide Richtungen – für die Mitarbeitenden und die Zulieferer. Solange diese nicht komplett emissionsfrei erfolgen können, verschlechtert die Verlagerung der Produktion und Logistik außerhalb der Stadt also die CO2-Bilanz. Einer gemeinsamen Erklärung für mehr Gewerbeflächen schlossen sich 22 Verbände und Initiativen an. „Will Berlin seine Attraktivität als Wirtschaftsstandort nicht verlieren, braucht es ein Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen, die das Gewerbeflächenangebot erhöhen, geeignete Rahmenbedingungen für bezahlbare Gewerbemieten schaffen sowie eine bedarfsgerechte Förderlogik implementieren“, schreiben die Initiatoren. Kurzfristig geht es darum, den Rückgang des Flächenangebots zu stoppen und etwa durch gemischte Nutzungen innovative Maßnahmen zu ergreifen. Die häufig diskutierte, aber in der Praxis noch ausbaufähige Über- bebauung von Supermärkten ist ein Beispiel, wie sich Flächenpotenziale generieren lassen. Auch die Verwaltung ist am Zuge – die Sicherung und Erschließung von Gewerbeflächen soll auf Ebene der Senatsverwaltung und der Bezirksämter stärkere Priorität bekommen. Vielleicht ist die aktuelle Phase auch eine gute Denkpause für die Branche. Nicht nur das „Mehr“, sondern auch das „Wie“ wird eine immer größere Rolle spielen. Das Problembewusstsein scheint jedenfalls vorhanden – bei den Unternehmen und ihren Interessenvertretern. ■ In Berlin gibt es immer weniger Gewerbe-Areale. In einer gemeinsamen Erklärung zeigen 22 Akteure, wie das Angebot wieder erhöht werden kann von Dr. Mateusz Hartwich Ohne Flächen keine Wirtschaft Der Fokus richtet sich auf den Bestand: Gebaut wurden die Bechstein-Höfe für die Herstellung exquisiter Flügel. Heute sitzen in dem GSG-Hof in Kreuzberg innovative Technologie-Betriebe Peter Rau, IHK-Public-Affairs- Manager Tel.: 030 / 315 10-608 peter.rau@berlin.ihk.de Erklärung „Berlins Wirtschaft braucht Flächen zum Wachsen“ unter: ihk.de/berlin/erklaerung-wirtschaft-bw FOTO: GSG BERLIN/AMADÉ HÖLZINGER Standort | 19 Berliner Wirtschaft 11 | 2023

Gut drei Jahre ist es her, dass die IHK Berlin eine erste Digitalisierungsoffensive präsentiert hat. Im Sommer 2020 befanden wir uns noch inmitten der Corona-Pandemie. Verwaltung, Schulen und Unternehmen mussten schlagartig ihre Prozesse digitalisieren, neue Endgeräte anschaffen, Homeoffice ermöglichen und Infrastruktur ausbauen. Seither ist viel passiert: ChatGPT, Energiekrise, Fachkräftemangel. Dazu eine Wiederholungswahl und ein neuer Senat, in dem die Digitalpolitik zur „Chefsache“ beim Regierenden Bürgermeister erklärt wurde. Grund genug also, um die Digitaloffensive zu aktualisieren und die heutigen digitalpolitischen Bedarfe und Anregungen aus Sicht der Berliner Wirtschaft ein weiteres Mal an die Politik heranzutragen. 35 Handlungsempfehlungen an die Politik Seit Mai dieses Jahres wurde daher unter Federführung des IHK-Themenausschusses „Innovative und wissensgetriebene Stadt“ und den Ausschussvorsitzenden Paul Wolter und Matthias Patz in einer Reihe von Workshops digitalpolitiVerwaltung, Infrastruktur, Bildung – überall hat Berlin Nachholbedarf. Die Digitalisierungsoffensive 2.0 der IHK gibt dazu Handlungsempfehlungen an den Senat von Henrik Holst Gemeinsam digitalisieren FOTO: KONSTANTIN GASTMANN/IHK BERLIN Berliner Wirtschaft 11 | 2023

sche Bilanz gezogen und aktuelle politische und technologische Entwicklungen diskutiert. Auch weitere IHK-Themenausschüsse wurden aktiv beteiligt. Entstanden ist eine umfassende Publikation mit insgesamt 35 konkreten Handlungsempfehlungen auf sieben Themengebieten, die alle für die Stadt von großer Bedeutung sind: Digitale Verwaltung, Digitale Infrastruktur, Digitale Souveränität und IT-Sicherheit, KI und Schlüsseltechnologien, Datenpolitik, IT-Fachkräfte, Digitale Bildung. Berliner KI-Ökosystem weiter stärken Konkret haben die Ausschussmitglieder unter anderem Empfehlungen entwickelt, wie das Berliner KI-Ökosystem weiter gestärkt werden kann, um auch international besser mithalten zu können. Entscheidend hierfür ist eine gezielte Förderung von Start-ups und Technologietransfer, damit Hochschulforschung zu Schlüsseltechnologien wie künstlicher Intelligenz in Berlin verstärkt in die wirtschaftliche Anwendung gelangt. Daniel Zapf, Geschäftsführer der wycomco GmbH wünscht sich hierzu eine klare Vision seitens der politischen Akteure, wie wir Berlin zum Motor dieser Entwicklung machen. „Mit einem Mix aus unbedingtem Willen, Mut, Augenmaß, Schnelligkeit und entsprechenden Ressourcen können wir mitgestalten, statt lediglich Trittbrettfahrer zu sein“, so Zapf. Ein richtiger Schritt in diese Richtung sind die KMU-Büros, mit denen der Berliner Senat Hochschulen und kleine und mittlere Unternehmen besser vernetzen möchte. Das erste Büro dieser Art startet jetzt in Kooperation mit der IHK Berlin an der HTW (s. S. 12). Dauerbaustelle Verwaltung Daneben legt die Digitaloffensive 2.0 auch konkrete Ideen vor, wie die Digitalisierung und Innovationskraft in der Verwaltung erhöht werden können. Schließlich bieten digital verfügbare Verwaltungsleistungen nicht nur eine komfortablere Nutzung für Berliner Unternehmen und Stadtgesellschaft, sondern bedeuten zugleich auch eine erhebliche Effizienzsteigerung und Entlastung für die Verwaltungsmitarbeitenden selbst. So weit die Theorie. In der Praxis kommt die Verwaltungsdigitalisierung jedoch bislang nur schleppend voran. Bei der Verwaltungsreform verspreche die Berliner Politik seit Jahrzehnten den großen Durchbruch, kritisiert Anett Hüssen, Geschäftsführerin der Hauskrankenpflege Dietmar Depner GmbH und Vorsitzende des IHK-Themenausschusses „Funktionierende Stadtverwaltung“. An Problemanalysen mangele es nicht, so Hüssen. „Wenn Behörden-Pingpong, Digitalisierungsstau und der Mangel an IT-Fachkräften beendet werden sollen, braucht Berlin entschlossene Umsetzung – parteiübergreifend sowie gemeinsam durch Senat und Bezirke.“ Neben klar definierten Zuständigkeiten, einer zentralen Steuerung und verschlankten Entwicklungsprozessen macht sich die Digitaloffensive daher auch für ein Innovations- und Digitalbudget stark, das flexibel genutzt werden kann. Damit hätte die Verwaltung die Möglichkeit, einzelne Digitalisierungsvorhaben, Pilotprojekte oder Prototypen schneller aufzusetzen. Darüber hinaus würde ein solches Budget möglicherweise finanzielle Anreize für Verwaltungsmitarbeitende schaffen, Innovationen und digitale Lösungen anzuregen und umzusetzen. IT-Personal fehlt überall Natürlich befasst sich die Digitaloffensive 2.0 auch mit dem allgegenwärtigen Thema des Fachkräftemangels, denn IT-Personal fehlt überall. „Startups, Mittelstand und selbst Großunternehmen fällt es immer schwerer, IT-Stellen zu besetzen. Vielerorts fehlt es dadurch an wichtigen Kompetenzen für Digitalisierung und Wachstum“, berichtet Kerstin Ehrig-Wettstaedt, Geschäftsführerin der Ehrig GmbH. Es brauche daher kreative Lösungen, um unsere eigenen IT-Talente aus- und weiterzubilden und in Berlin zu halten, erklärt Ehrig-Wettstaedt. Die Berliner Unternehmen empfehlen daher flexiblere Förderangebote zur Qualifizierung und innovative Weiterbildungsangebote. So sollten etwa die Angebote von Coding School in die Eintrittsplanung aller Berliner Jobcenter eingebunden werden. Ende Oktober überreichte IHK-Präsident Sebastian Stietzel die Digitaloffensive 2.0 an den Regierenden Bürgermeister, Kai Wegner, und die Berliner Chief Digital Officer, Martina Klement. Mit der aktualisierten Digitaloffensive 2.0 solle Anstoß gegeben werden für einen konstruktiven Dialog über eine Berliner Digitalpolitik, die das riesige Innovationspotenzial und unsere digitalen Talente in und für die Stadt nutzt, so Stietzel. Berlin habe laut dem IHK-Präsidenten zweifelsfrei das Potenzial zur Digital- und Innovationshauptstadt. „Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass Berlin diesen Titel wirklich verdient und digitaler Fortschritt in allen denkbaren Bereichen gelebt wird.“ ■ Lösungen aus der Wirtschaft: IHK-Präsident Sebastian Stietzel (l.) überreichte Kai Wegner und Martina Klement die Digitaloffensive 2.0 Anett Hüssen IHK-Ausschuss „Funktionierende Stadtverwaltung“ Wenn Behörden- Pingpong, Digitalisierungsstau und der Mangel an ITFachkräften beendet werden sollen, braucht Berlin entschlossene Umsetzung. Henrik Holst, IHK-Public-Affairs- Manager Digitalpolitik & digitale Infrastruktur Tel.: 030 / 315 10-623 henrik.holst@berlin.ihk.de Digitaloffensive 2.0 Alle Informationen auf der IHK-Website unter: ihk.de/berlin/digitaloffensive Positionspapier | 21

INHALT 26 Jenseits von China Sentech Instruments drängt auf neue Märkte 28 Kurze Wege für Waren Ferdinand Dameris: Türkei als sicheres Lieferland 29 Akquise via LinkedIn Evidentic setzt im Vertrieb auf soziale Netzwerke 30 „Wir leiden unter den internationalen Krisen“ Dr. Linda und Lorenz Riele, Robert Riele GmbH & Co. KG, im Doppel-Interview Berliner Wirtschaft 11 | 2023 fokus

GRENZGÄNGER Bewegte Zeiten für exportorientierte Unternehmen: Um sich gegen internationale Krisen zu wappnen, suchen sie neue Märkte und Kooperationen. Die IHK Berlin hilft ihnen dabei von Eli Hamacher Container landen im West- hafen oder gehen auf Reisen. Auch Kraftwerksturbinen und Industrieanlagen werden hier verladen FOTO: GETTY IMAGES/LUIS ALVAREZ Außenhandel | 23

Wenn Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey über Berlins Exporte spricht, darf eine Zahl nicht fehlen: Die hiesigen Industrieunternehmen erwirtschaften gut 45 Prozent ihres Umsatzes im Ausland. Das zeigt, wie wichtig die Ausfuhren für eine florierende Wirtschaft sind. Doch die schwierige Gesamtlage seit Ausbruch der Corona-Pandemie, seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und den damit verbundenen Auswirkungen auf die internationalen Lieferketten hinterlassen auch Spuren in der Außenhandelsbilanz. Im ersten Halbjahr 2023 sanken die Ausfuhren laut Amt für Statistik leicht um 0,4 Prozent auf 8,1 Mrd. Euro, während die Einfuhren in die Hauptstadt um 18,2 Prozent auf 9,9 Mrd. Euro kletterten. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr hatten die Exporte noch um rund vier Prozent zugelegt und die Importe um nahezu zehn Prozent. Das dicke Plus bei den Einfuhren erklären Experten vor allem mit dem hohen Konsum der Berliner und dem weiter anhaltenden Zuzug. Im Sommer vermeldeten die Statistiker einen neuen Höhepunkt bei der Einwohnerzahl. 3,87 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner waren zum Stichtag 30. Juni dieses Jahres mit Hauptwohnsitz in der Stadt gemeldet. Das waren noch mal knapp 15.580 Menschen mehr als am 31. Dezember 2022. Unter Berlins Außenhandels- partnern sind vor allem die USA und die EU-Märkte Zugpferde. „Die USA entfalten mit ihren Konjunkturprogrammen eine wirtschaftliche Dynamik, die sich bei den Ein- und Ausfuhren der Berliner Unternehmen positiv niederschlägt“, heißt es in einer Halbjahresbilanz der IHK Berlin. In Europa sind Polen und Italien mit jeweils zweistelligen Steigerungen Wachstumstreiber. Auf der Verliererseite steht China, hinter den USA zweitwichtigstes Abnehmerland. Nach steilen Zuwächsen in den Vorjahren gingen die Exporte in den ersten sechs Monaten gegenüber dem Vergleichszeitraum 2022 erstmals wieder zurück – um knapp 14 Prozent. Die Lage in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt ist nach Ende der Null-Covid-Politik noch sehr durchwachsen, vor allem wegen der Krise auf dem Immobilienmarkt, schwachen Exporten und einem niedrigen Konsum. Exportschlager Motorrad Zu den wichtigsten Exportgütern Berlins zählen laut Investitionsbank Berlin pharmazeutische Erzeugnisse, Fahrzeuge – darunter BMW-Motorräder aus Spandau – sowie Geräte zur Elektrizitätserzeugung und -verteilung. Wichtige Importgüter sind Datenverarbeitungsgeräte sowie elektronische und optische Erzeugnisse. Sonja Jost, Geschäftsführerin DexLeChem und Vizepräsidentin der IHK Berlin, sieht, dass die Berliner Wirtschaft Lieferketten neu aufstellt, um das Auslandsgeschäft resilienter gegen Krisen und Lieferengpässe zu machen FOTO: IHK BERLIN/AMIN AKHTAR FOKUS | Außenhandel | 24

Leichter wird es für die Unternehmen nicht. Die seit Sommer 2022 stetig und deutlich gestiegenen Zinsen, die Investitionen und die Wirtschaftstätigkeit insgesamt bremsen, das Wegbrechen von Märkten wie Russland, die angespannte Lage in China, aber auch neue Gesetze wie das am 1. Januar 2023 in Kraft getretene Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) stellen die Wirtschaft vor große Herausforderungen. Ziel des neuen Gesetzes ist es, den Schutz der Umwelt sowie der Menschenrechte entlang globaler Lieferketten zu verbessern. Bislang betrifft das LkSG zwar nur Firmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten. Von 2024 an gilt es aber schon ab einer Schwelle von 1.000 Mitarbeitern, sodass dann insgesamt 3.500 Firmen in Deutschland direkt betroffen sind. Indirekt gehören allerdings häufig auch kleinere Unternehmen dazu, die von ihren Großkunden aufgefordert werden, bei den Transparenzpflichten mitzuwirken. Und die EU plant, die Grenze auf 500 Angestellte zu senken. Stammt mindestens die Hälfte des Umsatzes aus Risiko- branchen wie Textil oder Metall, soll die Beschäftigtengrenze sogar noch einmal auf die Hälfte fallen. Spätestens dann ist das LkSG mittendrin im deutschen und im Berliner Mittelstand. Für IHK-Präsident Sebastian Stietzel steht fest: „Trotz ihrer internationalen Erfolge ist unsere mittelständisch geprägte Wirtschaft gezwungen, sich an die neuen Realitäten anzupassen, neue Märkte und Kooperationen zu erschließen und sich insgesamt breiter aufzustellen im Auslandsgeschäft.“ Mit vielen Angeboten unterstützt die IHK Berlin ihre Mitglieder dabei, dieser Herausforderung gerecht zu werden. Dazu gehört der Austausch auf der jährlichen Außenwirtschaftskonferenz Berlin-Brandenburg mit Experten und rund 200 Teilnehmenden aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Das Event organisiert die Kammer gemeinsam mit den IHKs in Brandenburg. Um einen wirtschaftspolitischen Kompass für den künftigen Umgang mit dem wichtigen Handelspartner China bereitzustellen, hat die Bundesregierung im Sommer dieses Jahres erstmals eine ressortübergreifende, umfassende China-Strategie beschlossen. Die IHK Berlin hat deshalb eine neue Website eingerichtet, die den Mitgliedern eine solide Informations- und Kontaktbasis sowie politische Orientierungshilfen durch EU, Bund und Land bieten soll, um Perspektiven im und mit dem Reich der Mitte ausloten zu können. Auch Delegationsreisen nach China wie zuletzt im Juni und Anfang November dieses Jahres sollen die Berliner Wirtschaft unterstützen. Gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe sowie der Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH erkundet die IHK Berlin zudem weniger erschlossene Märkte. Im September dieses Jahres ging es deshalb nach Indonesien, wo neben der Eröffnung des Future City Hubs in Jakarta vor allem die Förderung von Wirtschafts-/Unternehmenskooperationen, die Entwicklungszusammenarbeit sowie die Vertiefung der Städtepartnerschaft Berlin-Jakarta auf der Agenda standen. Darüber hinaus sollte die Smart City Jakarta Impulse, Innovationen und aktuelle Entwicklungen für Berliner Unternehmen und Politik aufzeigen. Mit der weltweit viertgrößten Bevölkerung von 273 Millionen Menschen ist das Land von hohem wirtschaftlichem Interesse für Auslandsinvestitionen. Zu den Pluspunkten zählt auch die vorteilhafte Altersstruktur: Das Medianalter lag 2022 gerade einmal bei 29,7 Jahren. Politik soll Chancen eröffnen Sonja Jost, Geschäftsführerin und Mitgründerin des Start-ups für grüne Chemie DexLeChem sowie Vizepräsidentin der IHK Berlin, unterstreicht: „Die Berliner Wirtschaft stellt ihre Lieferketten neu auf, um nach den Corona-Jahren und wegen des Ukraine-Krieges ihr Auslandsgeschäft resilienter gegen internationale Krisen und Lieferengpässe zu machen. Von der Politik in der EU, im Bund und im Land Berlin brauchen die Berliner Unternehmen eine gleichsam stabilisierende und Chancen eröffnende Außenwirtschafts- und Handelspolitik, um angesichts der Transformationen auf den Weltmärkten bestehen zu können.“ Dafür müssten Hemmnisse im Außenhandel abgebaut und die EU-Freihandels- abkommen mit Zukunftsregionen endlich zum Abschluss gebracht werden. Auch der Senat müsse seine Internationalisierungsstrategie und sein Förderprogramm für die Außenwirtschaft neu ausrichten. „Berlin hat das Potenzial, mit seiner vielfältigen Unternehmenslandschaft sowie als relevanter Tech-Standort zu einer internationalen Marke für nachhaltige Transformation durch Innovation entwickelt zu werden“, so Jost weiter. „Wenn die Berliner Unternehmen erfolgreich ihre Produkte und Lösungen für nachhaltiges Wirtschaften in die Welt transferieren, leisten sie damit einen Beitrag zu den globalen Nachhaltigkeitszielen und gewinnen neue Geschäftspotenziale.“ Daraus resultiere eine Win-win-Situation für die Welt und die Zukunftsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandorts. ■ Sonja Jost IHK-Vizepräsidentin Berlin hat das Potenzial, zur internationalen Marke für nachhaltige Transformation durch Innovation entwickelt zu werden. 8,1 Mrd. Euro betrug der Wert der Berliner Exporte im ersten Halbjahr, ein Minus von 0,4 Prozent. Dr. Valentina Knezevic, IHK-Public-Affairs- Managerin Außenhandel Tel.: 030 / 315 10-243 valentina.knezevic@ berlin.ihk.de Sami Bettaieb, IHK-Public-Affairs- Manager Außenhandel Tel.: 030 / 315 10-241 sami.bettaieb@berlin. ihk.de Länder-Informationen Berliner Wirtschaftsbü ros Peking und New York: berlinoffice-china.com berlinoffice-usa.com Informationen zu China: ihk.de/berlin/china Berliner Wirtschaft 11 | 2023

RkJQdWJsaXNoZXIy MTk5NjE0NA==